Blasphemie (
altgr. ἡ βλασφημία, τῆς βλασφημίας –
blasphêmía – die ‚Rufschädigung‘, zusammengesetzt aus βλάπτειν –
bláptein – ‚Schaden bringen‘, ‚benachteiligen‘ und ἡ φήμη –
phếmê oder
dorisch ἡ φάμα –
pháma
– ‚die Kunde‘, ‚der Ruf‘) bezeichnet im heutigen Kontext eine
„Gotteslästerung“. Darunter wird unter anderem das Verneinen, Verhöhnen
oder Verfluchen bestimmter
Glaubensinhalte einer
Religion bezeichnet.
Übersicht
Nach § 48 der Stellungnahme aus dem Jahr 2011 des
Menschenrechtskomitees der Vereinten Nationen, dem Gremium aus achtzehn
unabhängigen Experten, die damit beauftragt wurden, Beschwerden
hinsichtlich des
Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte
zu bewerten, „sind Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor
einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich
Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag inkompatibel, außer in den
bestimmten Umständen, wie sie in Art. 20, Absatz 2 des Vertrags
vorausgesehen sind.“ Der Art. 20 Abs. 2 ruft Staaten dazu auf, Folgendes
zu verbieten: „Die Verfechtung nationalen, rassistischen oder
religiösen Hasses, welche zur Diskriminierung, Feindseligkeit oder
Gewalt anstiftet.“ Der Kommentar verlangt mit Bedacht, dass keine
Restriktion die Garantien des Abkommens auf Gleichberechtigung vor dem
Gesetz (Art. 26) und der Freiheit des Denkens, des Gewissens und der
Religion (Art. 18) verletzen darf. Gesetze, die Blasphemie einschränken,
sind als solche somit mit den allgemeinen Menschenrechtsstandards
inkompatibel.
[1][2]
Gegen dieses
Menschenrecht wird jedoch in vielen Staaten verstoßen. So gilt
Gotteslästerung in vielen Religionen als schweres religiöses
Vergehen, wenn es die eigene Religion betrifft. Die westlichen Länder sind durch das Zeitalter der
Aufklärung geprägt und schützen explizit (meist in einer Verfassung) die
Religionsfreiheit,
Meinungsfreiheit und
Redefreiheit
ihrer Bürger, solange sie keine Rechte Dritter massiv verletzen.
Deshalb wird in westlichen Ländern nur selten der Vorwurf der Blasphemie
erhoben; dennoch kommt es gelegentlich zu Verurteilungen wegen
Blasphemie.
Beispiele:
In vielen Staaten mit Staatsreligion ist Gotteslästerung eine
Straftat. In manchen dieser Staaten kann sie mit der
Todesstrafe bestraft werden, z.B. in
Saudi-Arabien, der
Islamischen Republik Pakistan, der Islamischen Republik
Afghanistan und der
Islamischen Republik Iran.
Ob und in welchem Umfang bestimmte Handlungen oder Äußerungen als
„Blasphemie“ gelten, hängt ab von den rechtsgültigen Kriterien für ihre
Feststellung und vom Stellenwert religiöser Traditionen und
Wertorientierungen in einer Gesellschaft. Diese können sich innerhalb
der Geschichte einer Religion stark wandeln.
Religiöse, besonders
fundamentalistische Gruppen sehen oft bereits Dinge als Blasphemie an, die in westlichen Staaten explizit durch die
Religionsfreiheit,
Meinungsfreiheit und
Redefreiheit geschützt sind; zum Beispiel:
- Glaube an Götter anderer Religionen,
- genereller Unglaube (Atheismus),
- Fluchen, insbesondere solches mit religiöser Herkunft oder religiösem Inhalt (Beispiele: „gottverdammt“, „heilige Scheiße“)
- eine Verhöhnung religiöser Symbole, beispielsweise das umgekehrte christliche Kreuz mit Dornenkranz (nicht zu verwechseln mit dem Petruskreuz)
- eine Verhöhnung religiöser Inhalte, etwa durch Filme wie Dogma, Das Leben des Brian, Popetown u. ä. Satiren oder zynische Komödien
Oft wurde und wird Christen in islamischen Ländern der Vorwurf der
Blasphemie gemacht; Medien und Menschenrechtsorganisationen berichten
immer wieder von
Christenverfolgungen aus diesem Anlass bzw. Vorwand.
[6][7]
Hebräische Bibel
Im
Tanach, der hebräischen Bibel des
Judentums, ist die
Lästerung JHWHs ein schwerer Bruch des zweiten (nach anderer Zählung des dritten) der
Zehn Gebote. Dieses verbietet den Missbrauch des
Gottesnamens (
Ex 20,7
EU):
„Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht
missbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen
Namen missbraucht.“
Dies folgt unmittelbar aus dem 1. Gebot
Ex 20,2ff
EU:
Ich bin JHWH, dein Gott...
Damit sagt der Befreier Israels seinem erwählten Volk seine
Heilsgegenwart zu und beansprucht zugleich ausschließliche Verehrung in
Israel. Dies steht als Leitsatz über der ganzen
Tora, so dass der Tatbestand der Gotteslästerung nicht jeweils neu begründet wird.
In
Lev 24,16
EU heißt es demgemäß:
„Wer JHWHs Namen lästert, der soll des Todes sterben;
die ganze Gemeinde soll ihn steinigen. Ob Fremdling oder Einheimischer,
wer den Namen lästert, soll sterben.“
Gemeint ist nach dem Beispiel im Kontext (Lev 24,10-15) das direkte
Verfluchen des Gottesnamens durch einen in Israel lebenden
Nichtisraeliten. Angedeutet ist damit die Möglichkeit, dass Fremdlinge
die Israeliten zur Verehrung fremder Götter verleiten und damit die
Existenz des Gottesvolks bedrohen. Damit wird nicht der Glaube an andere
Götter an sich, wohl aber ihre öffentliche Propagierung in Israel gegen
die JHWH-Religion unter Strafe gestellt.
In
Ex 22,27
EU heißt es im Kontext der Gebotssammlung des
Bundesbuchs (Ex 20-24) apodiktisch:
„Gott sollst du nicht lästern, und einen Obersten deines Volkes sollst du nicht verfluchen.“
Damit wird Verfluchen Gottes und der religiösen Autoritäten Israels
gleichgestellt. Fremdgötterverehrung, Verführung zum Götzendienst und
Ablehnung der zur Ausübung und Wahrung des JHWH-Kults bestimmten Führer
waren im biblischen Israel gleichartige Vergehen. Dabei ging es nicht
nur um den Schutz einer monotheistischen
Theokratie,
sondern um die Freiheit aller aus der Sklaverei befreiten Israeliten.
Diese wurde in biblischer Sicht durch Übernahme von Göttern, die in
Israels Umwelt meist Sklaverei und Gottkönigtum absicherten, bedroht.
In
Lev 19,12
EU wird der Missbrauch des Gottesnamens auf den
Meineid bezogen:
„Ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen und den Namen eures Gottes nicht entheiligen; ich bin der Herr.“
Hier geht es um die Benutzung des Gottesnamens für bestimmte
selbstsüchtige Zwecke. Israels Gott kann also gerade durch die Anrufung
und scheinbare Bejahung seiner Macht gelästert werden.
In
1_Kön 21,10
EU wird geschildert, wie
Isebel,
die ausländische Königin Israels, das in der Tora verankerte Verbot der
Gotteslästerung dazu missbraucht, einem freien israelitischen Bauern
sein geerbtes Land zu rauben:
„Stellt ihm zwei ruchlose Männer gegenüber, die
bezeugen und sprechen: Du hast Gott und den König gelästert! Und führt
ihn hinaus und steinigt ihn, dass er stirbt.“
Dies hat nach prophetischer Gerichtsansage den Tod des ganzen Königshauses zur Folge.
Der Prototyp des ausländischen Lästerers, der den israelitischen Gott direkt angreift, ist für die biblische
Apokalyptik der
Seleukiden-Herrscher
Antiochos IV. Epiphanes. Dieser versuchte um 170 v. Chr., im Zuge der
Hellenisierung seines Reiches die jüdische Religion auszurotten. Er wird im
Buch Daniel als „Maul, das große Dinge redete“ (Dan 7,8), charakterisiert (
Dan 11,36
EU):
„Und gegen den Gott aller Götter wird er
Ungeheuerliches reden, und es wird ihm gelingen, bis sich der Zorn
ausgewirkt hat; denn es muss geschehen, was beschlossen ist.“
Worin die Ungeheuerlichkeit bestand, wird nicht gesagt, das genaue
Zitat der Gotteslästerung wird vermieden. Es handelte sich aber nach
Meinung des Autors um ein Verhöhnen des israelitischen Gottes. Diese
konnte auch indirekt durch Abschaffung der jüdischen Tora, des Verbots
der
jüdischen Feste
oder der Tempelentweihung durch fremde Götterbilder (Dan 9,27; 11,31)
geschehen. Diese religiösen Vergehen galten in Israel als
Götzendienst (Fremdgötterkulte in Israel), die besonders im Buch
Deuteronomium eng mit dem Thema Gotteslästerung verbunden waren.
Neues Testament
Im
Neuen Testament bekräftigt
Jesus von Nazaret das Verbot, den Gottesnamen zu missbrauchen, indem er nicht nur den Meineid, sondern jeden Eid verbietet:
„Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt
wurde: 'Du sollst keinen falschen Eid tun und sollst Gott deinen Eid
halten.' Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, weder
beim Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist
seiner Füße Schemel; noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs
Stadt. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst
nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede sei Ja,
ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“
Gleichwohl wurde Jesus selbst nach dem Passionsbericht des
Markusevangeliums als Gotteslästerer verurteilt, nachdem er die
Messiasfrage des
Kajaphas bejaht und mit der Ankündigung des
Menschensohns ergänzt hatte (
Mk 14,63f
EU):
„Da zerriss der Hohepriester seine Kleider und sprach:
Was brauchen wir noch Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung gehört. Was
denkt ihr? Sie aber sprachen alle das Urteil über ihn, dass er des Todes
schuldig sei.“
Worin Jesu todeswürdige Lästerung bestand, ist jedoch historisch
umstritten. Meist wird sie in der Selbstvergöttlichung gesehen, die der
Ankläger aus Jesu Menschensohnankündigung heraushörte. Diese Deutung
vertritt auch das
Evangelium nach Johannes (
Joh 19,7
EU):
„Die Juden entgegneten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben, denn er hat sich selbst zu
Gottes Sohn gemacht.“
Beispiele
Gotteslästerungsprozess 1912
Theodor Fritsch gehörte seit 1880 zu den publizistisch aktivsten
Antisemiten des
Deutschen Kaiserreichs. Er hatte bereits zahlreiche Hetzschriften, darunter den bis 1945 in 49 Auflagen verbreiteten
Antisemitenkatechismus herausgegeben, als er am 15. Mai 1910 in der Zeitschrift
Hammer folgenden Merkspruch veröffentlichte:
[8]
„Dass die Hebräer ihr Judentum ablegen und Deutsche
werden wollen, glaube ich nicht eher, als bis sie ihre talmudischen
Schriften verbrennen und ihre Synagogen niederreißen – zum Zeichen
dafür, dass sie nicht länger Jahwe, den Geist der Bosheit und Lüge
anzubeten gesonnen sind.“
Daraufhin zeigte der 1893 gegründete
Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der auch für den Rechtsschutz des Judentums in Deutschland zuständig war, Fritsch wegen
Beschimpfung einer mit Korporationsrechten ausgestatteten Religionsgemeinschaft (§ 166 des
Reichsstrafgesetzbuches) und
Gefährdung des öffentlichen Friedens durch Anreizung zu Gewalttaten
(§ 130) vor dem Königlichen Landgericht Leipzig an. Fritsch wurde am
18. November 1910 wegen Verletzung der religiösen Gefühle der jüdischen
Gemeinschaft zu einer Woche Gefängnis verurteilt; zum gleichen Ergebnis
führte ein zweiter Prozess wegen
Talmudhetze, bei der er am 19. Mai 1911 zehn Tage Gefängnis erhielt.
Gotteslästerungs-Anklagen gegen Kunstwerke
- Der Maler Max Ernst wurde nach eigenen Angaben 1926 vom Erzbischof Karl Joseph Schulte nach der Ausstellung seines Gemäldes Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler im Kölnischen Kunstverein wegen Gotteslästerung exkommuniziert.[9][10]
- Künstler der Gruppe SPUR wurden in der Bundesrepublik Deutschland der 1960er Jahre wegen Gotteslästerung angeklagt.
- Das Theaterstück „Maria-Syndrom“ von Michael Schmidt-Salomon wurde in Deutschland 1994 verboten.
- Es wurde 2004 der Künstlerin Dorota Nieznalska in Danzig verboten, einen Penis im Zusammenhang mit einem Kruzifix zu zeigen. Die Installation hieß Passion (polnisch: Pasja).
Insbesondere im konservativ-katholisch geprägten Polen gehen Politik
und Rechtsprechung vergleichsweise rigide mit Kunstwerken um, die sich
kritisch oder abfällig mit katholischen Glaubensinhalten
auseinandersetzen. Hier handelte es sich allerdings – im Gegensatz zu
den Diskussionen um „Das Gesicht Mohammeds“ – um Vorgänge, die auf dem
Territorium eines stark christlich geprägten Landes selbst gesetzt
wurden, und nicht in einem anderen Kulturkreis.
- In Kassel wurden von christlichen Extremisten gegen eine Ausstellung von Gerhard Haderer
Bombenandrohungen ausgesprochen. Er hatte Jesus Christus als "Kiffer"
gezeichnet. Haderer wurde auch wegen blasphemischer Karikaturen in
Griechenland in Abwesenheit zu sieben Monaten Haft verurteilt, später
jedoch freigesprochen.
- Die Popmusikerin Madonna
ließ sich während der Bühnenshow eines Live-Konzerts 2006 „ans Kreuz
nageln“ und stieß damit auf heftige Kritik bei Kirchenvertretern und
Christen. Die Staatsanwaltschaft verwies jedoch darauf, dass Anzeigen
wegen Blasphemie nicht zu einer Verurteilung führen würden.
Karikaturenstreit
Ein Beispiel einer Kontroverse um Gotteslästerung waren die von vielen Muslimen als blasphemisch empfundenen
Mohammed-Karikaturen.
Am 27. Oktober 2005 erstatteten elf Vertreter dänischer islamischer
Organisationen aufgrund des Blasphemie-Paragraphen § 140 im dänischen
Strafgesetzbuch Strafanzeige gegen die Zeitung
Jyllands-Posten.
[11]
Am 6. Januar 2006 stellte die Staatsanwaltschaft in
Viborg das Verfahren ein mit der Begründung, dass keine Hinweise auf eine Straftat nach dänischem Recht vorlägen.
[12] Diese Entscheidung bestätigte am 15. März 2006 der Direktor der dänischen
Staatsanwaltschaft und begründete sie detailliert mit Bezug auf die Karikaturen.
[13]
Blasphemie-Gesetz in Pakistan
Pakistan – das Land rief sich 1956 zur ersten
Islamischen Republik
der Welt aus – hat etwa 156 Millionen Einwohner; davon sind 96 Prozent
Muslime, 2,3 Prozent Christen und 1,5 Prozent Hindus. Die Situation im
Land wird mitgeprägt durch ein sehr starkes Bevölkerungswachstum (siehe
hier).
Seit Jahren wird kritisiert, dass die Blasphemiegesetze in Pakistan
dazu missbraucht werden, gegen Andersgläubige vorzugehen und vor allem
um persönliche Streitigkeiten auszutragen. So genüge in vielen Fällen
ein reiner Verdacht der Gotteslästerung. Das Blasphemie-Gesetz ist im
pakistanischen Strafgesetzbuch verankert und umfasst vier Paragraphen.
Grundsätzlich verbietet das 1986 eingeführte Gesetz die Beleidigung
jeder Religion. Schwerste Strafen sind für
Schändung des Koran (Paragraf 295-B, lebenslange Haft) und die
Beleidigung
des Namens Mohammeds (295-C, Todesstrafe) vorgesehen. Zwar wurde in
Pakistan bisher kein Todesurteil vollstreckt, mehrere Angeklagte wurden
aber nach ihrer Freilassung von einem
Mob gelyncht. Die meisten Anklagen wurden gegen
Ahmadis erhoben, etwa 13 Prozent der Angeklagten waren Christen.
[14]
- Am 30. Mai 2007 wurde ein Christ wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt.[15]
- Ende März 2010 verhaftete die Polizei in der pakistanischen Provinz Punjab
die Christin Rubina Bibi. Sie soll den Propheten Mohammed «beleidigt»
haben. Auf Nachfrage bestritt die Polizei von Alipur die Verhaftung und
versuchte, diese vor Menschenrechtsorganisationen geheim zu halten.[16]
Benedikt XVI.
rief 2011 bei seinem traditionellen Neujahrsempfang für die Diplomaten
am Heiligen Stuhl die pakistanische Regierung dazu auf, das Gesetz
aufzuheben – „umso mehr, als es offensichtlich als Vorwand dient, um
Ungerechtigkeit und Gewalt gegen die religiösen Minderheiten zu
provozieren“.
[19] Einen Tag später sprach der Generalsekretär der pakistanischen Partei
Jamaat-e-Islami, Liaquat Baloch, von einer „Einmischung in interne und religiöse Angelegenheiten“. Laut
APP,
der staatlichen pakistanischen Nachrichtenagentur, qualifizierte er die
Äußerung des Papstes als Vorlage, „um die ganze Welt in einen blutigen
Krieg zu stürzen“.
[19]
Am 9. Januar 2011 demonstrierten in Pakistan über 40.000 Menschen für die Beibehaltung des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes.
[20] Der Spiegel resümierte anschließend: „In Pakistan bestimmen zunehmend Extremisten die Politik. [...] Die Fanatiker haben längst gewonnen.“
[21]
Im Sommer 2012 hielt ein Blaphemie-Fall Pakistan wochenlang in Atem: eine der Gotteslästerung angeklagte junge Christin namens
Rimsha Masih
kam in Untersuchungshaft. Sie ist unter 18 und gilt als geistig
behindert. Im September kam sie auf Kaution aus dem Gefängnis frei.
Auslöser dafür war die Festnahme eines
Imams,
der verdächtigt wird, Beweise gegen das Mädchen gefälscht zu haben.
Zuvor hatten über 1 Million Menschen aus vielen Ländern online eine von
Avaaz.org
formulierte Petition unterschrieben, die Pakistans Präsident Asif Ali
Zardari aufforderte, sich für eine Freilassung des Mädchens einzusetzen.
[22][23]
Papst-Karikaturen der Satirezeitschrift 'Titanic'
Im Zusammenhang mit
Papst-Karikaturen des Satire-Magazins
Titanic äußerte
Thomas Goppel (* 1947, CSU-Politiker und MdL in Bayern) im Juli 2012 scharfe Kritik an "Titanic"-Chefredakteur
Leo Fischer.
Goppel wurde mit den Worten zitiert, er würde Journalisten wie Fischer
persönlich "die Lizenz zum Schreiben entziehen", da dieser des Amts
eines Chefredakteurs nicht würdig sei.
[24][25] Goppel unterstützte in Folge die Forderung von
Erzbischof Ludwig Schick, Gotteslästerung künftig unter Strafe zu stellen. Schick hatte geäußert, es gebe zwar den
Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches, doch sei dieser völlig in Vergessenheit geraten und werde kaum noch angewandt.
[26]
Gegen "heilige Personen, heilige Schriften, Gottesdienste und Gebete
sowie heilige Gegenstände und Geräte aller Religionen" dürfe kein Spott
und Hohn zugelassen werden.
[27] Goppel unterstützte das Ansinnen mit den Worten "Wer nicht so zu seinem Anstand findet, der braucht ein Gesetz".
[28]
Für das Titelbild und die letzte Seite der Juli-Ausgabe 2012 erging
die Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung durch die rechtliche
Vertretung von Papst
Benedikt XVI.. Das Magazin hatte unter dem Titel
Halleluja im Vatikan – Die undichte Stelle ist gefunden! Indiskretionen im
Vatikan (siehe „
Vatileaks“) aufgegriffen und dazu zwei bearbeitete Fotos des Papstes gedruckt. Das Titelfoto zeigt den Papst von vorn in einer
Soutane,
die von Hüfthöhe abwärts mit gelber Flüssigkeit befleckt ist. Das
zweite Foto – auf der Heftrückseite – zeigt ihn von hinten, wobei der
Gesäßbereich braun befleckt ist.
[29] Das
Landgericht Hamburg erließ daraufhin eine
einstweilige Verfügung gegen Titanic, die weitere Verbreitung der Bilder zu unterlassen.
[30] Der Großteil der Kiosk-Ausgabe war zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft.
[31] Die Titanic kündigte Rechtsmittel an.
[32] Am 30. August zog der
Heilige Stuhl seinen Antrag auf eine
einstweilige Verfügung gegen das Blatt zurück.
[33] [34]
'Titanic' gilt als eine Zeitschrift, die schon oft Grenzen der Satire "ausgetestet" hat. Die
Römisch-Katholische Kirche hatte vor 2012 schon mindestens viermal wegen
Verunglimpfung des
Papstes und dreimal wegen
Religionsbeschimpfung geklagt, einmal fühlte sich der ehemalige
Bischof von Fulda,
Johannes Dyba, beleidigt.
Angriff auf Botschaften in der Hauptstadt des Sudan
In
Karthum (Hauptstadt des
Sudan) wurde am 14. September 2012 nach dem
Freitagsgebet die
Deutsche Botschaft
in der „53 Baladia Street“ gestürmt, in Brand gesteckt und teilweise
zerstört. Dann wurde die britische Botschaft beschädigt und die
US-Botschaft gestürmt. Diese Aktion war nicht spontan, sondern geplant.
Der Spiegel schrieb:
„Spätestens seit Anfang dieser Woche riefen im Sudan
islamistische Prediger und indirekt auch die Regierung zu einer massiven
Demonstration vor der deutschen Botschaft an diesem Freitag auf.
Mehrere Imame hetzten ihre Anhänger mit der Aussage auf, dass in
Deutschland bei Demonstrationen das Bild des heiligen Propheten
geschändet werde. Ganz offenbar spielten die Hass-Prediger dabei auf
Aktionen von islamkritischen Organisationen wie der rechtsextremen
Kleinpartei
Pro NRW
an. Anhänger von Pro NRW trugen bei ihren Kundgebungen in Deutschland
bereits häufiger Mohammed-Karikaturen mit sich. Bilder dieser Demos, so
sagen Beobachter in Khartum, hätten die Massen aufgestachelt. Der
Protest gegen Deutschland bekam in den vergangenen Tagen auch eine
politische Komponente. Das Außenministerium in Khartum forderte
Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag direkt auf, in Deutschland
Demonstrationen mit Mohammed-Karikaturen zu verbieten. Zudem tadelte das
Außenministerium Merkel, weil sie im Jahr 2010 den Zeichner der
Karikaturen, die 2005 für wütende Proteste in der gesamten muslimischen
Welt gesorgt hatten, bei der Verleihung eines Medienpreises in Potsdam
ehrte und den Dänen
Kurt Westergaard ausdrücklich als Beispiel für die
Meinungsfreiheit
lobte. ... Ein Anführer der radikalen 'Islamischen Befreiungspartei'
rief seine Anhänger diese Woche mehrmals direkt zu Attacken gegen die
deutsche Landesvertretung auf.
[35]“
Auch gegen die benachbarte britische Botschaft ging der Mob vor. Dann
zogen tausende Demonstranten in Richtung Stadtrand zur US-Botschaft
oder fuhren in Bussen dorthin. Der Polizei gelang es trotz
Tränengas-Einsatz nicht, die US-Botschaft zu halten.
[36]
Siehe auch
Literatur
- Klaus Petersen: Literatur und Justiz in der Weimarer Republik. Metzler, Stuttgart 1988, ISBN 3-476-00644-1.
- Wolfgang Hütt (Hrsg.): Hintergrund. Mit den Unzüchtigkeits- und Gotteslästerungsparagraphen des Strafgesetzbuches gegen Kunst und Künstler 1900 – 1933. Henschelverlag, Berlin (Ost) 1990, ISBN 3-362-00384-2.
- Gerd Schwerhoff: Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200–1650. UVK-Verlags-Gesesellschaft, Konstanz 2005, ISBN 3-89669-716-1, (Konflikte und Kultur 12).
- Gerd Schwerhoff: Blasphemie im Christentum: Heilige Zielscheibe des Spotts. In: DAMALS. Das Magazin für Geschichte und Kultur. 38, 2006, 11, ISSN 0011-5908, S. 70–75.
- Arnold Angenendt, Michael Pawlik, Andreas von Arnauld de la Perrière: Religionsbeschimpfung. Der rechtliche Schutz des Heiligen. Herausgegeben von Josef Isensee. Duncker & Humblot, Berlin 2007, ISBN 3-428-12491-X, (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte. 42).
- Steen Kittl und Christian Saehrendt:Geier am Grabe van Goghs und andere häßliche Geschichten aus der Welt der Schönen Künste. (u. a. über Blasphemie in der Kunst). DuMont, Köln 2010, ISBN 978-3-8321-9093-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf
- ↑ http://hpd.de/node/11837
- ↑ National Secular Society Nr. 4054, 8. März 2008: England: Blasphemie ist tot
- ↑
- ↑ Carten Volkery: Irland: Ungläubiges Staunen über Gesetz gegen Gotteslästerung. Spiegel Online vom 16. Juli 2009
- ↑ Bundestagsdrucksache 16/3608 (Antrag) vom 29. November 2006 (pdf); DiePresse.com: Christentum meistverfolgte Religion weltweit (22. Dezember 2008)
- ↑ Amnesty International: Persecution of Christians
- ↑ Christian Wiese, Jahwe – ein Gott nur für Juden? S. 30
- ↑ Die Frommen riefen dreimal Pfui: Interview mit Max Ernst im Spiegel, 9/1970, abgerufen am 23. Mai 2012
- ↑ Philipp Wittmann: Zwischen Gotteslästerung und der Wahrheit in: Katholisch in Brühl, Erzbistum Köln, Nr. 3, 2010, S. 18, abgerufen am 13. Juni 2012
- ↑ Die Erklärung in dänischer Sprache (Link nicht mehr abrufbar)
- ↑ Reinhard Wolff: Dänemarks Staatsanwälte ermitteln nicht mehr zu den als Blasphemie kritisierten Mohammed-Karikaturen. In: taz, 9. Januar 2006
- ↑ Presseerklärung
des „Director of Public Prosecution“ auf den Webseiten des „Ministry of
Foreign Affairs of Denmark“ 15. März 2006, Detaillierte
Begründung des „Director of Public Prosecution“ auf den Webseiten des
„Ministry of Foreign Affairs of Denmark“, 15. März 2006
- ↑ Minister für religiöse Minderheiten ermordet Frankfurter Rundschau vom 2. März 2011
- ↑ Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM): Pakistan: Blasphemiegesetz abschaffen!
- ↑ Blasphemie-Gesetz teilt Menschen in zwei Klassen
- ↑ in Nankana, andere Quellen sprechen von Sheikhupura als Sitz des Gerichts, beispielsweise arlingtoncardinal.com (8. November 2010) und Spiegel Online (11. November 2010), abgerufen am 12. November
- ↑ Pakistani Christian woman appeals over death sentence, abgerufen am 12. November 2010
- ↑ a b Pakistan weist Kritik des Papstes zurück faz.net vom 11. Januar 2011
- ↑ 40'000 Pakistaner für Blasphemie-Gesetz, news.ch vom 9. Januar 2011
- ↑ Pakistans Führung beugt sich den Fanatikern 13. Januar 2011
- ↑ spiegel.de 9. September 2011: Junge Christin kommt gegen Kaution frei
- ↑ www.telegraph.co.uk, Pakistan blasphemy case Christian girl 'is 14' (BBC), Pakistani Muslim leaders support Christian girl accused of blasphemy (Guardian), Pakistani Christians, fearing backlash, flee community after girl is accused of blasphemy (Washington Post), Pakistani president wades into 'Down's Syndrome' blasphemy case (Christian Science Monitor)
- ↑ „Titanic“ fügt sich dem Willen des Papstes. In: Handelsblatt, 10. Juli 2012. Abgerufen am 12. Juli 2012.
- ↑ Mia san Papst. In: t-online.de, 12. Juli 2012. Abgerufen am 12. Juli 2012.
- ↑ Debatte um Blasphemie-Verbot Lästern verboten sueddeutsche.de, 2. August 2012, abgerufen am 2. August 2012.
- ↑ Erzbischof fordert schärferes Blasphemie-Verbot domradio.de, 2. August 2012, abgerufen am 2. August 2012.
- ↑ Debatte um Blasphemie-Verbot Lästern verboten sueddeutsche.de, 2. August 2012, abgerufen am 2. August 2012.
- ↑ Papst verlangt Unterlassungserklärung von „Titanic". In Sächsische Zeitung, 10. Juli 2012.
- ↑ Papst erwirkt einstweilige Verfügung gegen Satiremagazin, Deutsche Welle, 10. Juli 2012
- ↑ Titanic wehrt sich gegen Verbot von Papst-Titelbild. In: Zeit Online. 11. Juli 2012.
- ↑ „Wir werden bis zum Jüngsten Gericht ziehen“, Welt Online, 11. Juli 2012
- ↑ Prozess am Freitag fällt aus, kress.de, 30. August 2012
- ↑ spiegel.de: Vatikan zieht einstweilige Verfügung zurück
- ↑ Sudan: Sturm auf deutsche Botschaft war gezielte Attacke. In: Der Spiegel, 14. September 2012.
- ↑ Sudan: Der Angriff auf die deutsche Botschaft war gesteuert. In: Die Zeit, 14. September 2012.