Übernommen von der Internetpräsenz der Humanistischen Union!
46 Anwältinnen und Anwälte stehen seit Juni 2012 in der Türkei vor Gericht. Weil sie angebliche "Terroisten" verteidigt haben, bezichtigen Staatsanwälte sie nun selber der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Die "Strafrechtliche Verfolgung von Rechtsanwälten in der Türkei" stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung am Freitag (22. Februar) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Der Einladung der Humanistischen Union Marburg (HU) und der Kampagne "Demokratie hinter Gittern" waren gut 20 Interessierte gefolgt.
Erschütternde Beobachtungen von den bisherigen Prozesstagen in dem Strafverfahren gegen ihre 46 türkischen Kollegen schilderte die Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens. Als Vertreterin des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Vereins (RAV) hatte sie sich an einer internationalen Delegation von 30 Prozessbeobachtern beteiligt.
Am ersten Verhandlungstag sei der Gerichtssaal so klein gewesen, dass die Verteidiger der Anwälte teilweise im Publikum oder auf dem Fußboden sitzen oder sogar stehen mussten, berichtete sie. Eine angemessene Prozessvertrretung sei völlig unmöglich gewesen.
Später sei das Gericht in ein anderes Gebäude umgezogen, das über größere Säle verfügt. Doch habe man hier zunächst nicht den größten Raum genutzt, sodass immer noch nicht alle Interessierten an der Verhandlung teilnehmen konnten.
36 der 46 angeklagten Anwälte befanden sich zum Prozessauftakt in Untersuchungshaft. Ein halbes Jahr später sind immer noch 26 Angeklagte eingesperrt.
Bei der Verhaftung habe man ihnen nicht mitgeteilt, welcher Vergehen sie beschuldigt werden. Auch sei die über 960 Seiten starke Anklageschrift im Prozess nicht verlesen worden.
Die Strafverteidiger würden mit ihren Mandanten gleichgesetzt und für deren angebliche Vergehen haftbar gemacht, meinte von der Behrens. Letztlich ersticke die türkische Regierung so jeden politischen Protest.
Das gelte auch für andere Berufsgruppen. Mit 68 inhaftierten Journalisten beispielsweise hält die Türkei einen traurigen Europa-Rekord.
Vor allem Vertreter der kurdischen Bevölkerung, Gewerkschafter und Aktivisten aus der Zivilgesellschaft seien Zielscheibe politischer Verfolgung. Ihr elementares Recht auf eine effiziente Verteidigung werde ihnen vorenthalten.
Genauso ergehe es nun auch Angeklagten, die Attentate auf kurdische oder linke Aktivisten verübt haben sollen. Aubh beim Prozess gegen diese Vertreter des "Tiefen Staats" zeichne sich die gleiche rechtsstaatswidrige Vorgehensweise wie bei ihren Gegnern ab. Auch wenn man zu diesen Personen durchaus kritisch stehen könne, verurteilte von der Behrens auch die Einschränkung prozessualer Grundrechte dieser Angeklagten.
Kein anderes Land sei vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) so oft verurteilt worden wie die Türkei. Die türkischen Anwälte nutzten die Möglichkeit einer Klage vor dem EGMR wesentlich intensiver als ihre deutschen Kollegen, erklärte von der Behrens. Hier könne die deutsche Anwaltschaft von ihren türkischen Kollegen noch einiges lernen.
Allerdings sei die Dauer derartiger Verfahren problematisch. Oft dauern sie drei bis fünf Jahre, in denen die Menschenrechtsverletzungen zunächst weitergehen.
Ein türkischer Anwalt, der einen Prozess vor dem EGMR erfolgreich geführt hatte, sei zudem hinterher angeklagt worden, berichtete die Berliner Anwältin. Dennoch sei eine Klage vor dem EGMR eine wichtige Möglichkeit, Mißstände anzprangern.
Öffentlicher Druck lindert nach Erfahrungen der Beteiligten die Regierung auch an einem allzu dreistem Vorgehen. Wichtig sei beispielsweise die starke Präsenz der Prozessbeobachter.
Trotzdem werde die Türkei immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Grund dafür seien Folter, zu lange Verfahrensdauer und die Missachtung prozessualer Grundregeln.
Die schleppende Verfahrensweise halte die Angeklagten unnötig lange in Untersuchungshaft. Nach einem bis drei Verhandlungstagen berautme das Gericht den nächsten Termin erst wieder zwei oder drei Monate später an, beklagte von der Behrens. So ziehe man eine große Zahl engagierter Anwälte regelrecht aus dem Verkehr und beraube zugleich ihre Mandanten einer anwaltlichen Vertretung.
Die politische Einschätzung eines - als Ersatz für die erkrankte Bianca Winter kurzfristig eingesprungenen - Repräsentanten der Kampagne "Demokratie hinter Gittern" gipfelte anschließend in der Forderung, diese rechtsstaatswidrige Vorgehensweise der türkischen Behörden öffentlich zu machen. Empört zeigte er sich darüber, dass Kurden sogar in Deutschland wegen Zugehörigkeit zu einer Terroristischen Vereinigung strafrechtlich verfolgt werden. Damit stütze und stärke Deutschland das dreiste Vorgehen der türkischen Regierung gegen die kurdische Minderheit.
Schockiert zeigten sich die Anwesenden über seine kurze Schilderung der Zustände in türkischen Gefängnissen. Kranke Häftlinge erhielten dort nicht die nötige gesundheitliche Versorgung. Selbst Minderjährige seien wegen angeblicher politischer Vergehen eingesperrt und würden mit Duldung der Wärter im Gefängnis auch sexuell missbraucht.
Am Ende der lebhaften und erschütternden Veranstaltung stand der Aufruf, nicht wegzusehen bei Menschenrechtsverletzungen. Die anstehenden Besuche deutscher Politiker in der Türkei solle man nutzen, um vonihnen eine klare Positionierung für die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern.
Massive Missachtung der Menschenrechte
Veranstaltung über strafrechtliche Verfolgung von Rechtsanwälten in der Türkei
23.02.2013 - FJH
46 Anwältinnen und Anwälte stehen seit Juni 2012 in der Türkei vor Gericht. Weil sie angebliche "Terroisten" verteidigt haben, bezichtigen Staatsanwälte sie nun selber der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Die "Strafrechtliche Verfolgung von Rechtsanwälten in der Türkei" stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung am Freitag (22. Februar) im Käte-Dinnebier-Saal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Der Einladung der Humanistischen Union Marburg (HU) und der Kampagne "Demokratie hinter Gittern" waren gut 20 Interessierte gefolgt.
Erschütternde Beobachtungen von den bisherigen Prozesstagen in dem Strafverfahren gegen ihre 46 türkischen Kollegen schilderte die Berliner Rechtsanwältin Antonia von der Behrens. Als Vertreterin des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Vereins (RAV) hatte sie sich an einer internationalen Delegation von 30 Prozessbeobachtern beteiligt.
Am ersten Verhandlungstag sei der Gerichtssaal so klein gewesen, dass die Verteidiger der Anwälte teilweise im Publikum oder auf dem Fußboden sitzen oder sogar stehen mussten, berichtete sie. Eine angemessene Prozessvertrretung sei völlig unmöglich gewesen.
Später sei das Gericht in ein anderes Gebäude umgezogen, das über größere Säle verfügt. Doch habe man hier zunächst nicht den größten Raum genutzt, sodass immer noch nicht alle Interessierten an der Verhandlung teilnehmen konnten.
36 der 46 angeklagten Anwälte befanden sich zum Prozessauftakt in Untersuchungshaft. Ein halbes Jahr später sind immer noch 26 Angeklagte eingesperrt.
Bei der Verhaftung habe man ihnen nicht mitgeteilt, welcher Vergehen sie beschuldigt werden. Auch sei die über 960 Seiten starke Anklageschrift im Prozess nicht verlesen worden.
Die Strafverteidiger würden mit ihren Mandanten gleichgesetzt und für deren angebliche Vergehen haftbar gemacht, meinte von der Behrens. Letztlich ersticke die türkische Regierung so jeden politischen Protest.
Das gelte auch für andere Berufsgruppen. Mit 68 inhaftierten Journalisten beispielsweise hält die Türkei einen traurigen Europa-Rekord.
Vor allem Vertreter der kurdischen Bevölkerung, Gewerkschafter und Aktivisten aus der Zivilgesellschaft seien Zielscheibe politischer Verfolgung. Ihr elementares Recht auf eine effiziente Verteidigung werde ihnen vorenthalten.
Genauso ergehe es nun auch Angeklagten, die Attentate auf kurdische oder linke Aktivisten verübt haben sollen. Aubh beim Prozess gegen diese Vertreter des "Tiefen Staats" zeichne sich die gleiche rechtsstaatswidrige Vorgehensweise wie bei ihren Gegnern ab. Auch wenn man zu diesen Personen durchaus kritisch stehen könne, verurteilte von der Behrens auch die Einschränkung prozessualer Grundrechte dieser Angeklagten.
Kein anderes Land sei vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) so oft verurteilt worden wie die Türkei. Die türkischen Anwälte nutzten die Möglichkeit einer Klage vor dem EGMR wesentlich intensiver als ihre deutschen Kollegen, erklärte von der Behrens. Hier könne die deutsche Anwaltschaft von ihren türkischen Kollegen noch einiges lernen.
Allerdings sei die Dauer derartiger Verfahren problematisch. Oft dauern sie drei bis fünf Jahre, in denen die Menschenrechtsverletzungen zunächst weitergehen.
Ein türkischer Anwalt, der einen Prozess vor dem EGMR erfolgreich geführt hatte, sei zudem hinterher angeklagt worden, berichtete die Berliner Anwältin. Dennoch sei eine Klage vor dem EGMR eine wichtige Möglichkeit, Mißstände anzprangern.
Öffentlicher Druck lindert nach Erfahrungen der Beteiligten die Regierung auch an einem allzu dreistem Vorgehen. Wichtig sei beispielsweise die starke Präsenz der Prozessbeobachter.
Trotzdem werde die Türkei immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Grund dafür seien Folter, zu lange Verfahrensdauer und die Missachtung prozessualer Grundregeln.
Die schleppende Verfahrensweise halte die Angeklagten unnötig lange in Untersuchungshaft. Nach einem bis drei Verhandlungstagen berautme das Gericht den nächsten Termin erst wieder zwei oder drei Monate später an, beklagte von der Behrens. So ziehe man eine große Zahl engagierter Anwälte regelrecht aus dem Verkehr und beraube zugleich ihre Mandanten einer anwaltlichen Vertretung.
Die politische Einschätzung eines - als Ersatz für die erkrankte Bianca Winter kurzfristig eingesprungenen - Repräsentanten der Kampagne "Demokratie hinter Gittern" gipfelte anschließend in der Forderung, diese rechtsstaatswidrige Vorgehensweise der türkischen Behörden öffentlich zu machen. Empört zeigte er sich darüber, dass Kurden sogar in Deutschland wegen Zugehörigkeit zu einer Terroristischen Vereinigung strafrechtlich verfolgt werden. Damit stütze und stärke Deutschland das dreiste Vorgehen der türkischen Regierung gegen die kurdische Minderheit.
Schockiert zeigten sich die Anwesenden über seine kurze Schilderung der Zustände in türkischen Gefängnissen. Kranke Häftlinge erhielten dort nicht die nötige gesundheitliche Versorgung. Selbst Minderjährige seien wegen angeblicher politischer Vergehen eingesperrt und würden mit Duldung der Wärter im Gefängnis auch sexuell missbraucht.
Am Ende der lebhaften und erschütternden Veranstaltung stand der Aufruf, nicht wegzusehen bei Menschenrechtsverletzungen. Die anstehenden Besuche deutscher Politiker in der Türkei solle man nutzen, um vonihnen eine klare Positionierung für die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern.
Franz-Josef Hanke - 23.02.2013