Koalitionspoker
Vorwärts
Sondierungsgespräche
Die Union hat nicht verstanden
CDU und CSU glauben, in einer
starken Verhandlungsposition zu sein. Ein mehrfacher Irrtum, der die
Union teuer zu stehen kommen kann.
Die
Grünen hätten „das Wahlergebnis verstanden“, bescheinigte ihnen gestern
Nacht gönnerhaft CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. Doch spätestens
nach der gescheiterten Sondierung von Schwarz-Grün, stellt sich die
Frage: Hat die Union das Wahlergebnis vom 22. September verstanden?
Bis
gestern sonnte sich die Union in der angeblich komfortablen Lage, sich
einen Partner zum Regieren aussuchen zu können. Ein doppelter Irrtum:
Erstens standen zu keinem Zeitpunkt zwei Partner bereit, die sich
wirklich darum rissen, mit der Union zu regieren. Zweitens hat die Union
überhaupt keine Wahl mehr, denn die Grünen sind abgesprungen.
Keine Zugeständnisse der Union
Die
grüne Partei will nicht nur keine Koalitionsverhandlungen mit der Union
aufnehmen, sie will nicht einmal mehr weiter sondieren. Das zeigt, wie
wenig CDU und CSU den Grünen entgegenkamen. Der „Tagesspiegel“ aus
Berlin fragt: „Warum macht die Union keine Zugeständnisse?“
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagt: „Sondierungsgespräche sind nicht
der Ort, um konkrete Ergebnisse zu finden.“ Aus der CDU-Spitze wird
kolportiert, denkbar sei allenfalls, dass die Union an einigen Punkten
„Gesprächsbereitschaft“ erkläre. Das war den Grünen zu wenig.
Die
Union sollte nach dieser Erfahrung noch einmal gründlich nachdenken.
Denn hätten CDU und CSU das Wahlergebnis verstanden, wüssten sie: Die
Union hat keine absolute Mehrheit im Bundestag. Wenn sie keine
Minderheitsregierung führen möchte, braucht sie einen Koalitionspartner.
Und den gewinnt man offensichtlich nicht, wenn man weiter so agiert,
wie bisher.
So sehr sich Angela Merkel bisher
gegen eine Minderheitsregierung sträubt: Scheitert sie bei der
Partnersuche, kommt sie genau darum nicht herum. Das Grundgesetz ist
hier eindeutig. Nach Artikel 69 Absatz 3 ist „der Bundeskanzler
verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung seines Nachfolgers
weiterzuführen“.
Neuwahlen für Merkel schwierig
Aus
der Union heißt es, man behalte die Drohung mit Neuwahlen in der
Hinterhand, um einen möglichen Koalitionspartner unter Druck zu setzen.
Doch wie glaubwürdig ist diese Drohung? Auch hier hilft ein Blick ins
Grundgesetz. Neuwahlen durch eine gescheiterte Vertrauensfrage – der
Weg, den die Kanzler Brandt, Kohl und Schröder gingen – steht Merkel
nicht zur Verfügung. Als geschäftsführende Kanzlerin, die vom neuen
Bundestag zunächst nicht wiedergewählt wird, erfüllt sie nicht die
Voraussetzungen für eine Vertrauensfrage nach Artikel 68 des
Grundgesetzes.
Und auch politisch wäre eine
Neuwahl für die Union nicht nur wenig aussichtsreich, sie wäre hoch
riskant. Denn alle aktuellen Umfragen stimmen in drei Punkten überein:
Erstens würden CDU/CSU keine absolute Mehrheit erreichen. Zweitens würde
die FDP noch klarer an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern als am 22.
September. Damit wäre eine schwarz-gelbe Mehrheit ausgeschlossen.
Drittens – und hier wird es richtig gefährlich für die Union – würde mit
der Alternative für Deutschland (AfD) zum ersten Mal seit 1949 eine
Partei rechts von CDU und CSU in den Bundestag einziehen. Kann die Union
das wollen? Sicher nicht.
CDU und CSU sollten noch einmal über das Wahlergebnis nachdenken. Am besten so lange, bis sie es verstanden haben.
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