"Gerichte sind weisungsgebunden"
Gericht bleibt bei Platzvergabe im NSU-Prozess hart
Von Arnd Henze, WDR, ARD-Hauptstadtstudio
Das Oberlandesgericht (OLG) München bleibt hart. Trotz internationaler Kritik lehnt es eine Video-Übertragung des NSU-Prozesses in einen Nebensaal weiter ab. Die Folge: Nicht nur viele Medienvertreter werden beim Prozessauftakt am 17. April wohl keinen Platz im Gerichtssaal finden. Auch Angehörige der Opfer, Vertreter der türkischen Regierung und des Parlaments sowie möglicherweise auch Prozessbeobachter aus anderen Ländern von OSZE und Europarat werden vor verschlossenen Türen stehen.
Das werden die Bilder sein, die an diesem Tag um die Welt gehen werden. In den Kommentaren werden sie verknüpft werden mit dem Totalversagen der deutschen Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Mordserie und der jahrelangen Stigmatisierung der Opfer.
Der Europarat verpflichtet, genau wie die OSZE, die Mitgliedsstaaten, den ungehinderten Zugang von Journalisten und internationalen Beobachtern zu Strafprozessen zu ermöglichen - ausdrücklich ohne langfristige Akkreditierung, wie sie das OLG München gefordert hat. Auch das Platzargument lässt der Europarat nur sehr eingeschränkt gelten. Die Zahl der Plätze für Journalisten und Zuschauer habe sich nach dem Bedarf zu richten, nicht umgekehrt.
Ebenso wie Ruprecht Polenz und viele andere Bundestagsabgeordnete hatte Löning den Chodorkowski-Prozess in Moskau und zuletzt mit einer größeren Delegation einen Prozess in Kasachstan beobachtet: "Außer mir waren noch ein polnischer Europaabgeordneter, eine britische Diplomatin und verschiedene Journalisten dabei. Und wir haben selbstverständlich darauf bestanden, einen Platz im Gerichtssaal zu bekommen." In all diesen Fällen ging es um Unterstützung für die Angeklagten. Beim Prozess in München sind es vor allem die Opfer, die bei der Aufarbeitung der NSU-Morde auf breite internationale Aufmerksamkeit hoffen.
Dies gelte umso mehr, als Deutschland in Fragen der Menschenrechte eine weltweite Vorbildrolle beanspruche. Michalski verweist auf die Rechtsstaatsdialoge mit Ländern wie China, Usbekistan und Vietnam. "Da liefern wir gerade das völlig falsche Signal."
Ruprecht Polenz hofft weiter auf ein Einlenken des Gerichts. Niemand wolle sich in die Unabhängigkeit der Justiz einmischen, aber die müsse sich im Rahmen verbindlicher internationaler Prinzipien bewegen. "Ich sehe immer noch die Möglichkeit, dass das auch in München passiert, wenn der Prozess über Inhouse-Video in einen anderen Gerichtssaal übertragen und damit das Platzangebot deutlich erweitert wird", hofft der CDU-Politiker Polenz. Dies sei umso wichtiger, als er keinen Zweifel daran habe, dass der Prozess in München nach allen rechtsstaatlichen Maßstäben korrekt verlaufen werde: "Aber es hilft nichts zu sagen: Bei uns läuft auch mit eingeschränkter Öffentlichkeit alles korrekt - das würden dann ganz schnell auch die Staaten behaupten, bei denen das offensichtlich nicht der Fall ist."
Gericht bleibt bei Platzvergabe im NSU-Prozess hart
Weit mehr als ein Imageschaden
Im Streit um die Platzvergabe beim NSU-Prozess bleibt das Gericht hart. Das könnte verheerende Folgen haben. Denn bei Prozessen in anderen Ländern pocht Deutschland stets auf Transparenz - und das durchaus mit gewissem Erfolg. Künftig könnte das anders sein.Von Arnd Henze, WDR, ARD-Hauptstadtstudio
Das Oberlandesgericht (OLG) München bleibt hart. Trotz internationaler Kritik lehnt es eine Video-Übertragung des NSU-Prozesses in einen Nebensaal weiter ab. Die Folge: Nicht nur viele Medienvertreter werden beim Prozessauftakt am 17. April wohl keinen Platz im Gerichtssaal finden. Auch Angehörige der Opfer, Vertreter der türkischen Regierung und des Parlaments sowie möglicherweise auch Prozessbeobachter aus anderen Ländern von OSZE und Europarat werden vor verschlossenen Türen stehen.
Das werden die Bilder sein, die an diesem Tag um die Welt gehen werden. In den Kommentaren werden sie verknüpft werden mit dem Totalversagen der deutschen Sicherheitsbehörden bei der Aufklärung der NSU-Mordserie und der jahrelangen Stigmatisierung der Opfer.
Zahl der Plätze hat sich nach Bedarf zu richten
Die starre Haltung des Gerichts sorgt dabei nicht nur für immer heftigere Kritik in türkischen und internationalen Medien. Auch in Berlin befürchten Außenpolitiker und Menschenrechtsorganisationen zunehmend Auswirkungen, die weit über einen bloßen Imageschaden im Ausland hinausgehen. "Wenn unser Engagement für rechtsstaatliches Verhalten in anderen Ländern nicht an Glaubwürdigkeit verlieren soll, müssen wir im eigenen Land gewährleisten, was der Europarat für alle Mitgliedsstaaten fordert", warnt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz.Der Europarat verpflichtet, genau wie die OSZE, die Mitgliedsstaaten, den ungehinderten Zugang von Journalisten und internationalen Beobachtern zu Strafprozessen zu ermöglichen - ausdrücklich ohne langfristige Akkreditierung, wie sie das OLG München gefordert hat. Auch das Platzargument lässt der Europarat nur sehr eingeschränkt gelten. Die Zahl der Plätze für Journalisten und Zuschauer habe sich nach dem Bedarf zu richten, nicht umgekehrt.
Etwa 200 Plätze gibt es im Sitzungssaal 101. Davon sind 71 für
Nebenkläger und 49 für deren Anwälte reserviert, 50 als garantierte
Plätze für die Medien. Entscheidend bei der Vergabe war der Eingang der
Akkreditierung.
Auch wenn die Politik keinen Einfluss auf die Justiz nehmen darf: Was der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu vergangene Woche
von seinem deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle gefordert hat,
entspricht in der Substanz lediglich europäischen Mindeststandards, wie
sie auch von Deutschland gegenüber vielen Staaten in Anspruch genommen
wird."Wir haben selbstverständlich auf einem Platz bestanden"
"Gerade in der Türkei schicken wir sehr häufig Beobachter in Prozesse, bei denen zum Beispiel Journalisten oder Schriftsteller wegen Beleidigung des türkischen Staates angeklagt sind", sagt Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. "Unsere Menschenrechtsarbeit lebt ganz wesentlich davon, ungehinderten Zugang in Strafprozesse und sogar in Gefängnisse zu bekommen. Das setzt aber voraus, dass wir selber vorleben, was Transparenz und Zugänglichkeit für die internationale Öffentlichkeit bedeutet." Das gelte nicht nur gegenüber der Türkei.Ebenso wie Ruprecht Polenz und viele andere Bundestagsabgeordnete hatte Löning den Chodorkowski-Prozess in Moskau und zuletzt mit einer größeren Delegation einen Prozess in Kasachstan beobachtet: "Außer mir waren noch ein polnischer Europaabgeordneter, eine britische Diplomatin und verschiedene Journalisten dabei. Und wir haben selbstverständlich darauf bestanden, einen Platz im Gerichtssaal zu bekommen." In all diesen Fällen ging es um Unterstützung für die Angeklagten. Beim Prozess in München sind es vor allem die Opfer, die bei der Aufarbeitung der NSU-Morde auf breite internationale Aufmerksamkeit hoffen.
"Da liefern wir gerade das völlig falsche Signal"
Wie Löning fürchten nun auch Menschenrechtsorganisationen, dass das Münchener Gericht der Türkei und anderen Ländern eine bequeme Ausrede liefert. "Man macht es diesen Ländern zukünftig sehr leicht", warnt Wenzel Michalski, Deutschlanddirektor von "Human Rights Watch". "Die brauchen demnächst nur darauf verweisen, wie rigide und bürokratisch das auch in Deutschland gehandhabt wird. Und Platzmangel lässt sich auch woanders schnell herstellen, wenn man unliebsame Beobachter ausschließen will."Dies gelte umso mehr, als Deutschland in Fragen der Menschenrechte eine weltweite Vorbildrolle beanspruche. Michalski verweist auf die Rechtsstaatsdialoge mit Ländern wie China, Usbekistan und Vietnam. "Da liefern wir gerade das völlig falsche Signal."
"NSU-Prozess wird uns um die Ohren gehauen werden"
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon verfolgt den Streit um die Plätze im NSU-Prozess derzeit auf Dienstreise im fernen Georgien - einem Land, das nicht zuletzt auf Druck der EU eine Reihe von Schritten zu mehr Rechtsstaatlichkeit unternommen hat. In den letzten Jahren war sie vor allem in vielen Ländern Osteuropas als Prozessbeobachterin aktiv. Darüber hinaus ist sie Delegierte in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, deren nächste Tagung Ende Juni in Istanbul stattfinden wird. "Man wird uns dort an den Standards messen, die wir sonst immer einfordern. Und nach diesen Maßstäben wird uns der NSU-Prozess von allen Seiten um die Ohren gehauen werden", befürchtet die Europapolitikerin.Ruprecht Polenz hofft weiter auf ein Einlenken des Gerichts. Niemand wolle sich in die Unabhängigkeit der Justiz einmischen, aber die müsse sich im Rahmen verbindlicher internationaler Prinzipien bewegen. "Ich sehe immer noch die Möglichkeit, dass das auch in München passiert, wenn der Prozess über Inhouse-Video in einen anderen Gerichtssaal übertragen und damit das Platzangebot deutlich erweitert wird", hofft der CDU-Politiker Polenz. Dies sei umso wichtiger, als er keinen Zweifel daran habe, dass der Prozess in München nach allen rechtsstaatlichen Maßstäben korrekt verlaufen werde: "Aber es hilft nichts zu sagen: Bei uns läuft auch mit eingeschränkter Öffentlichkeit alles korrekt - das würden dann ganz schnell auch die Staaten behaupten, bei denen das offensichtlich nicht der Fall ist."
- Platzvergabe im NSU-Prozess: Es geht aber auch anders (27.03.2013)
- Chronik zum NSU: Rassistische Morde, staatliches Versagen
- Dossier: Die Terrorserie des NSU
Stand: 03.04.2013 15:12 Uhr